Ziegelhütten in Wettswil

1000 Grad Celsius Brenn­tem­pe­ra­tur

Autor: Willy Hug Affoltern am Albis, aus dem Buch "Alte Geschichten aus dem Säuliamt".

1000 Grad Celsius Brenn­tem­pe­ra­tur

Im Jahre 1932 legten die Zürcher Ziegeleien das Werk Wettswil still. Damit endete eine über 1700 Jahre alte Ziegeltradition Wettswil, denn bereits aus dem Jahre 200 sind beschriftete Ziegel vorhanden.

Walter Aeberli von Bonstetten kann sich noch gut erinnern, wie er zusammen mit anderen Buben in den 1930er Jahren mit den Rollwagen in den Lehmgruben der Ziegelei Wettswil spielte. Das war nicht ganz ungefährlich, denn wenn die Knaben mit dem Tempo in den schweren Kippwagen auf den Schienen in die Lehmgrube hinter sausten, entgleiste auch mal ein Wagen. Natürlich liessen sie diese dann liegen; es wäre für sie unmöglich gewesen, die schweren Wagen wieder auf die Geleise zu stellen. Mit schlechtem Gewisse stoben sie davon.

Eine Glocke läutete den Arbeitern zum Arbeitsbeginn und –ende sowie zur Znünipause. Als sich die Buben einmal am Sonntag einen Spass daraus machten, mit einer Schnur an dieser Glocke zu läuten, gab es für sie viel Ärger. Sie mussten beim Direktor, Herrn Baur, vortraben.

Versunken im Dorn­röschen­schlaf

Die Zeiten der Ziegelherstellung in Wettswil sind mittlerweile seit üb er 70 Jahren vorbei. Die Natur hat das Gelände zurückerobert. Als im Jahre 1932 die Ziegelei Wettswil für immer ihre Tore schloss, ging damit die letzte Produktionsphase der Ziegelherstellung in Wettswil endgültig zu Ende. Fünf Jahre später war zu lesen: „Das einst blühende Werk ist heute stillgelegt! In seinen Räumen herrscht lautlose Ruhe. In den Lehmgärten, die das kostbare Rohmaterial lieferten, drängt die nimmermüde Natur wieder vor. Verlassen recken sich die Tragmasten der nach Stallikon führenden Materialbahn, und die einst schwer beladenen Karren gleiten nicht mehr über ihre weitgespannten Seile. Der Betrieb wurde ein Opfer der Fusionierung und der herrschenden Krise. Ob das Werk je wieder aus seinem Dornröschenschlaf er-wacht?“ Später füllten sich die etwa drei Meter tiefen Lehmgruben langsam mit Wasser und wurden beliebte Badeweiher.

Victor, der erste Ziegel­fa­bri­kant

Eigentlich hatte die Wettswiler Ziegeleigeschichte fast 1700 Jahre früher begonnen, als beim heutigen Wettswil in den noch nassen Lehm eines Ziegels eine Botschaft eingeritzt wurde. Es waren drei mit grossen Lettern geschriebene Namen: VICTOR, war der Besitzer, ERYMUS der Sklave, welcher die Ziegel herstellen musste, PARADIANUS war sein Herr. Hätten diese Ziegelhersteller gedacht, dass wir heute 1800 Jahre später, mit Interesse ihre Namen lesen? In der Nähe des Ziegelbrennofens stand einst in der Josenmatte der römische Gutshof, „Heidechile“. Hier wurden mehrere Ziegel mit dem eingestempelten Namen VICTOR gefunden. Dies lässt darauf schliessen, dass Victor die Ziegelfabrikation kommerziell betrieb.

Der Dorfbrand

Die Geschichten der Ziegeleien in den folgenden Jahrhunderten bleiben im Verborgenen. Es sind kaum Hinweise vorhanden. Trotzdem ist anzunehmen, dass auch während dieser Zeit Ziegel hergestellt wurden, denn dazu bot die weite Talmulde zwischen Bonstetten und Wettswil mit ihren in der Talmitte bis zu 50 Metern mächtigen Lehmvorkommen ideale Bedingungen. Der graue Seebodenlehm ist während der letzten Gletscherzeit entstanden, als sich zwischen den Moränen ein See staute. Bekannt ist aus dem Jahre 1781, dass Wettswil den Zürcher Rat ersuchte, eine Ziegelhütte errichten zu dürfen. Der Transport von weit her sei auf den schlechten Strassen mühsam und mit einer Ziegelhütte könnte auch Bauholz gespart werden, argumentierten sie. Der Zürcher Rat erteilte eine Bewilligung mit der Auflage, dass ein Grossteil des Brennholzes aus der Innerschweiz bezogen werden müsse, damit an Ort kein Mangel entstehe, zudem durften nur sechs Mal im Jahr je 4000 Ziegel gebrannt werden. Eine Ausnahme waren die Jahre 1785 und 1786, als für den Wiederaufbau nach dem grossen Dorfbrand in Bonstetten mehr Ziegel gefertigt werden durften.

Ziegel auf dem Kopf ge­tra­gen

1877 betrieb Kaspar Baur in Wettswil eine florierende Handziegelhütte. Im Jahr fertigte er schon bis 300‘000 Ziegel und Backsteine. Im Sommer beschäftigte er einen Ziegler und einen Lehmrüster. Der Lehm wurde im Winter auf einem Schlitten vom Ochsen aus der Lehmgrube gezogen. Im Sommer wäre der Transport wegen des Strassenstaubs zu riskant gewesen, denn um Probleme beim Brennen zu vermeiden, musste der Lehm absolut sauber bleiben. Im Sommer wurde dann der geschmeidige Lehm in eine Form gepresst. Eine „Nase“ wurde geformt, und auf der Vorderseite wurden mit den Fingern die Wasserablaufrinnen eingedrückt. Ein „Abtragbueb“ trug die noch ungebrannten Ziegel und Backsteine auf dem Kopf zu den Gestellen, wo sie zuerst acht bis vierzehn Tage getrocknet wurden. Mit vier bis fünf zusätzlichen Gehilfen wurden die Ziegelbrände eingesetzt. Dies dauerte jeweils rund um die Uhr vier bis fünf Tage. Gefeuert wurde ausschliesslich mit Holz. Fuhrwerke brachten die Wettswiler Bausteine auf die Bauplätze.

Uebernahme durch Zürcher Ziegel­eien

Die Gründung einer selbstständigen Aktiengesellschaft im Jahre 1896 läutete eine neue Entwicklung ein. Aus der Handziegelei wurde ein maschineller Betrieb. Die Herstellung kam jetzt wesentlich billiger. 1912 nahmen die Zürcher Ziegeleien mit der „Mechanischen Ziegelfabrik Wettswil“ Verhandlungen für eine Zusammenlegung auf. Die Zürcher Ziegeleien waren ein Jahr zuvor aus der Fusion der „Mechanischen Backsteinfabrik Zürich“ und der „Ziegeleien Albishof-Heurieth entstanden. Das Geschäft lief jedoch schlecht, und die Lager vergrösserten sich. Im Geschäftsbericht kamen dafür drei Gründe zum Ausdruck: Krieg, Geldklemme und Rückgang der Bautätigkeit. Die Generalversammlung der Zürcher Ziegeleien beschloss 1913 die Fusion mit der Wettswiler Ziegelei.

Eine Material-Seilbahn von Stall­ikon nach Wetts­wil

Fabrikgebäude

Ab 1925 wurde bei Stallikon in einer neuen Grube Mergel abgebaut. Diesen stak tonhaltigen Mergel brachten anfangs Pferdefuhrwerke und später eine fast 1.5 Kilometer lange Material-Seilbahn nach Wettswil, wo die beiden unterschiedlichen Lehme vermischt wurden. Als ein deutscher Baumaterialienhändler einen Vertag für die Lieferung von bisher jährlich 100 Wagenladungen Hourdis (Tonhohlplatten) nicht mehr erneuerte, war dies Anlass zu einer Produktionsumstellung. Als Ersatz wurden jetzt Isoliersteine „System Schmidheiny“ produziert. Diese grossen Backsteine erlaubten wegen ihrer günstigen Hohlraumanordnung das Bauen von dünneren Mauern bei gleicher oder sogar besserer Wärmeisolation, als dies bei den bisherigen Kalksandsteinen der Fall war.

Die richtige Mischung

Mit der richtigen Mischung der mageren und fetten Lehme konnte ein gleichmässiger Rohstoff erreicht werden. Mit Pumpen musste ständig das nicht ab laufend Regenwasser aus der Grube abgepumpt werden. Das Rohmaterial wurde anschliessend in den Wagen der kleinen Rollbahn aus der Grube in die Ziegelei transportiert und für die nächsten Arbeitsprozesse: mischen, zerkleinern, zerreiben. Eine Maschine presste den durchfeuchteten Lehm in eine Form. Mit diesem letzten Arbeitsgang war der Formling fertig und bereit zum Trocknen. Je nach Trocknungsart dauerte dies bis vierzehn Tage. Dabei bewirkte der Wasserentzug einen Gewichtsentzug von 40 Prozent. Getrocknet wurde auf Gerüsten im Freien oder neben und über dem Brennofen unter Ausnützung der von ihm abgestrahlten Wärme.

1000 Grad Celsius

Der formbeständige, aber noch nicht wasserfeste Ziegel oder Backstein kam anschliessend in den zickzackförmigen Brennofen: einen langen, geschlossenen Kanal, aufgeteilt in Kammern und ebenso viele Eingänge. Die Befeuerung des Ofens geschah durch Schnurlöcher von oben durch die Decke und wanderte mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 20 Metern pro Woche durch den Tunnel. Für die Wettswiler Steine war eine Temperatur von 1000 Grad notwendig. Der „Brenner“ hatte die wichtige Aufgabe, diese mit Hilfe sein er Erfahrung und seines Ge-fühls optisch zu kontrollieren. Nach vier bis fünf Tagen konnte der Ofen wieder ausgeräumt werden. Das im Wettswiler Lehm enthaltene Eisenoxyd und Hydrate gaben die für Wetts-wiler Steine typische rote Farbe. Zum Brennen wurden mit der Eisenbahn aus dem westfäli-schen Ruhrgebiet oder aus Holland Griesskohlen angeliefert. Die Ziegelei Wettswil be-schäftigte bis zu 37 Arbeiter, nebst einigen Italienern auch Bauern aus den Nachbardörfern, welche im Nebenerwerb arbeiteten.

Wirtschaftskrise

Wirtschaftskrise

Seit 1905 leitete Direktor E. Bauer die Ziegelei. Als er sieben Jahre zuvor Aufseher geworden war, hatte er bereits sämtliche Arbeitsschritte gelernt und seine Kenntnisse im In- und Ausland erweitert. Ein Schwiegersohn von Baur war Pfarrer von Bonstetten und ein Enkel ist der heutige Bundesrat Christoph Blocher. Als die Ziegelei Ende 1932 stillgelegt wurde, setzte sich Baur dafür ein, dass sich seine Arbeiter von der „Ziegelei Zürich-Giesshübel“ übernommen wurden. Anlass für die Schliessung war eine Wirtschaftskrise, welche sich zusehends abzeichnete. Im Geschäftsbericht 1933 schrieben die Zürcher Ziegeleien, dass der Absatz der Ziegeleiprodukte schrumpfe und der Leerwohnungsbestand zunehme. Ebenso seien keine Bedürfnisse nach neuen Industriebauten erkennbar. Das Werk Wettswil wurde vorerst stillgelegt und das Lager nach und nach abgebaut.

Hungerlöhne

Hungerlöhne

Während der nächsten Jahre legten die Zürcher Ziegeleien ihre Werke wegen der Baukrise ganz oder zeitweise still. Ende 1935 erhielten alle noch verbliebenden Arbeiter von der Direktion eine Änderungskündigung mit der Begründung, dass ein Lohnabbau unumgänglich sei. Die Arbeiter beklagten sich im „Volksrecht“ im Juni 1936 bitter darüber, dass ein Unternehmen, welches Millionengewinne erwirtschaftet habe, ihnen nun solche Hungerlöhne bezahle. Die Krise konnte überwunden werden, aber das Werk Wettswil blieb geschlossen. Die Gebäude dienten noch lange als Lagerhallen für verschiedene Firmen. Was nicht schon vorher abgerissen worden war, vernichtete ein Grossbrand im Jahre 1980. Die zwei hübschen Backsteinhäuser beim Bahnhof, einst Wohnsitze des Direktors und seines Stellvertreters, wurden unlängst ebenfalls abgerissen. Erfreuen kann man sich noch an den drei Ziegelweihern. Da auf das Auffüllen der einstigen Lehmabbaugebiete verzichtet wurde, ist heute eine 10 Hektaren grosse Wasserfläche entstanden, die grösste ihrer Art im Kanton. Ein bedeutendes Naturschutzgebiet.

Ziegeleiweiher heute
Ziegeleiweiher heute